Veranstaltungsdokumentation: Visual Radio

Kino für die Ohren und Audio für die Augen?

Foto: Lisa Wolf / Grimme-Institut

Audio ist geil! Radio ist sexy – immer noch! Aber es trifft auf eine digitale Wirklichkeit, in der es sich neu und anders behaupten muss. „Visual Radio – Audio fürs Auge“ könnte hier eine Strategie sein und bildete gleich den Titel für die Veranstaltung in der Reihe „Grimme trifft die Branche“ und „RTL-Trendforum“, welche die Grimme-Akademie am 16. Oktober nicht nur in, sondern mit der RTL-Journalistenschule organisiert hat.


Hier einige Eindrücke von Lena Reuters, Praktikantin im Grimme-Institut:


Als sich am späten Nachmittag junge und erfahrene Radiomacher*innen, sachkundige Referent*innen und einschlägig Interessierte zusammen gefunden haben, war die Frage, warum es Radio zum Sehen, Lesen, Klicken gibt und vielleicht sogar geben muss, schnell geklärt: Die Nutzungsoptionen steigen und es gibt eine neue Angebotsvielfalt; etwa durch Streaminganbieter wie Amazon, Youtube, Deezer und Spotify. Wir hören in den Nachrichten-Podcast von Zeit-Online, klicken durch die Instagram-Beiträge von etablierten Radiomacher*innen und landen schließlich bei dem 1Live-Fragenhagel auf Youtube.


„Um digital wettbewerbsfähig zu sein, muss Radio multimedial sein!“ erklärte eingangs Oliver Hinz (Haus Hinzki – Digitale Markenberatung) und versuchte, dem etwas schillernden Begriff „Visual Radio“ auf die Spur zu kommen: Auf Google erzielt er 330.000 Treffer, der Begriff hat aber keinen deutschen Beitrag bei Wikipedia. Und: Ist ein Video, das von Radiomachern veröffentlicht wird, Visual Radio? Der ehemalige Leiter Social Media von 1Live erklärte: „Nein!“ Über die Bildebene werde der Sendungsinhalt verstärkt, aber nicht definiert. Das Radio lebe vom guten Audio, müsse aber für Bildschirme attraktiv gestaltet werden, wenn es sein Publikum heute noch erreichen will. Daher sieht Hinz auf den Webseiten der Sender Verbesserungspotential - etwa: Warum können Hörer*innen online nur auf die Playlist zugreifen?  Er forderte, Radiobeiträge sollten in einem vollständigen Audioarchiv kuratiert und suchmaschinenoptimiert ins Netz gestellt werden. Radio dürfe nicht mehr linear, sondern müsse objektbasiert gedacht und immer wieder konzipiert werden, etwa indem es mit Metadaten angereichert wird, so dass es, je nach Endgerät, neu und anders zusammengesetzt werden kann.


Einer der wichtigsten Rezeptionsorte für das Radio ist nach wie vor das Auto. Anknüpfend an seinen Vorredner präsentierte Andreas Brockers von Ford Werke wie die Bildschirme in Fahrzeugen aktuell, morgen und in der Zukunft aussehen. Heute kennen wir das statische Design - zumindest teilweise mit Sprachsteuerung. In der Zukunft, wenn autonomes Fahren Stufe 4 und 5 erreicht wäre (Fahrzeug fährt ohne Eingreifen, in bestimmten Regionen bzw. überall), ergäben sich neue Möglichkeiten der Bildschirmnutzung im Auto. „Was sehen wir dann in der Windschutzscheibe?“, fragte Brockers in den Raum. Auch darauf könnte „Visual Radio – Audio fürs Auge“ eine Antwort sein. Die „Connectivity-Lösung“, das heißt die Verbindung des autoeigenen Entertainment- und Informationssystems mit bspw. dem Smartphone oder USB-Stick, überlässt Ford dabei nicht Apple Carplay oder Android Car. Brockers erzählte, sie kooperierten mit anderen Automobilherstellern und böten ihre eigene Connectivity-Lösung als Open Source an. Den Vorteil sähe er in der Verbindung von Fahrzeugdaten und Mediennutzung im Fahrzeug. Das Medium könne dabei auf die Fahrten der Fahrer*innen angepasst werden.


Von den Möglichkeiten der Zukunft ging es mit der nächsten Referentin in die Praxis, dass hier und jetzt: „Für mich muss das Radio kein Bild haben. Aber ich möchte durch das Gucken das Audio noch prominenter machen“, machte SWR-Hörfunkerin und Ausbilderin Sandra Müller ihr Engagement klar. Das Visual Radio funktioniert, belegte sie durch Zahlen: In sozialen Netzwerken steigern Audiogramme die Reichweiten und Interaktionsraten gegenüber klassischem Text oder Links bei Weitem. Für sie elementar. Es nütze nichts, das Radio eins zu eins zu bebildern, es geht um ein anderes Erzählen und zeigte verschiedene beeindruckende Beispiele für gelungenes Visual Radio, darunter „Listen to the World“ von der New York Times. Ist das Interesse geweckt, lohnt es sich durch den Hashtag  #RadiofürdieAugen zu stöbern.


Einen anderen, vielleicht sogar entgegengesetzten Ansatz präsentierte abschließend Steffen Müller, Geschäftsführer von Radio21 und Rockland Radio. Für ihn reicht es nicht, mit exklusiven Inhalten visuell zu werben. Dagegen gäbe es durch „Radio TV“ gute Promotionschancen bei Sendungen, da man Stars nicht nur höre, sondern auch sähe. Mit einer eigenen TV-Lizenz und 24 Stunden Webstream übersetzt er mit Radio 21 das lineare Programm in Bildinhalte – durchaus mit Erfolg: Ca. 450.000 Zugriffe zählt der Livestream pro Monat. Sein Resümee: „Die Digitalisierung haben wir bisher erfolgreich gemeistert“. Wirklich? „Radio TV“ wurde unter den Referent*innen aber auch im Publikum angeregt diskutiert: Worin bestünde der Mehrwert für die User*innen und wie würde das Angebot im Netz gefunden?


Die unterschiedlichen Positionen bündelten die Moderatoren Leonhard Ottinger, RTL, und Lars Gräßer, Grimme Akademie, noch einmal in der Abschlussrunde und diskutierten gemeinsam mit Peter Seiffert, Leiter Online Video infoNetwork und Schiwa Schlei, Programmchefin COSMO/WDR, die eine Reduzierung von Marken und Formaten prognostizierte. Wichtig wäre es daher zu fragen, was mache das Angebot des Radio-Senders besonders? Hier müsse man ansetzen. Zudem plädierte Schlei für die Überwindung der Gattungen: „Ich mache Inhalte.“


Seiffert konnte hier nur beipflichten. Wichtig sei aber, den User*innen den Mehrwert aufzuzeigen. Dann gäbe es auch „sehr viel Platz“, aber eben nur für sehr, sehr gute Inhalte. „Audio für die Augen“ eröffne die Chance, dass der Markt an Vielfalt und Qualität dazugewinne.


Danach wurde es gesellig, wobei es Spaß machte, zu beobachten, wie sich junge Hörfunker*innen nicht nur motiviert um das nächste Praktikum bemühten, sondern auch lebhaft über das Radio machen, die abwechslungsreichsten Podcasts und die besten Apps - zur Erstellung von Audiogrammen - unterhielten.

 
Grimme trifft die Branche: Visual Radio - Audio für's Auge - Fotos: Lisa Wolf (Grimme-Institut)